Gegenwartsliteratur

Barbara Kingsolver: Demon Copperhead

Aktuell lese ich die Longlist vom Women’s Prize for Fiction 2023.

Begonnen habe ich mit dem dicksten Buch vom Stapel, denn aus Erfahrung weiß ich, dass die Lesemotivation – insbesondere nach Bekanntgabe der Shortlist – immer etwas abnimmt bei mir.

Der Plot

„Demon Copperhead“ ist eine moderne Nacherzählung von Dickens‘ „David Copperfield“ und erzählt relativ nah am Original die gleiche Geschichte, allerdings in einem modernen Setting.

Demon ist der Sohn einer drogenabhängigen Teenagerin, die nicht aus ihrer Haut heraus kann, so sehr sie sich auch bemüht, schließlich einen Mann heiratet, der ihr nicht gut tut und unter dem Demon leiden muss, und am Ende – erneut schwanger – an einer Überdosis stirbt.

Von da an gerät Demon ins Sozialsystem für Kinder und Jugendliche, was jedoch nicht besonders gut läuft.
Er schlägt sich von einer Station zur anderen, bis er beschließt, seine Großmutter zu suchen. Die nimmt ihn sofort unter ihre Fittiche und verschafft ihm bessere Rahmenbedingungen.
Ab hier wird es dann eigentlich ziemlich uninteressant: Schule, Sport, Verletzung, Medikamente, Drogenabhängigkeit, toxische Beziehungen,… bis hin zum Happy End.

Die Figuren

Kingsolver steht Dickens in nichts nach, wenn es darum geht, glaubwürdige, „lebendige“ Figuren zu erschaffen.
Zumindest Demon ist kein einseitiger Charakter. Er hat Tiefe, Schattierungen, kämpft gegen alle Widrigkeiten und mit sich selbst.
Auch Angus (Agnes) hat mir gut gefallen mit ihrer rebellischen Art, ihren Werten und Überzeugungen.

Ein wenig unscheinbar sind die vielen Nebenfiguren (bis auf die Peggots, die Felsen in der Brandung), die in verschiedenen Situationen und Konstellationen immer wieder aufeinandertreffen. Sie leben ihr Leben, aber hinterlassen keine wirklichen Spuren. Sie sind da, weil Dickens sie erfunden hat und die Autorin sie deswegen auch in der Story unterbringen musste, bringen aber hier keinen großen Mehrwert.

Und wozu das alles?

Warum schreibt Kingsolver den gleichen Roman wie Dickens? Diese Frage ging mir beim Lesen immer wieder durch den Kopf. Was bezweckt sie damit? Vermutlich will sie zeigen, dass sich seit David Copperfield nicht viel geändert hat, wenn es um Kinderarmut, soziale Sicherheit und Chancengleichheit geht. Aber braucht es dafür eine fast 1:1-Nacherzählung von Dickens?

Ich vermisse das „Eigene“ in diesem Buch, Elemente, die den Roman abgrenzen zum Klassiker oder auch zu anderen Geschichten in diesem Genre.
Alles wirkt „nostalgisch“, fast ein wenig märchenhaft und das, was zurück bleibt bei mir ist: Egal wie schlimm das Leben einen erwischt, am Ende wird doch alles einigermaßen gut; kein Handlungsbedarf.

Meine Einschätzung für den Women’s Prize

Es ist natürlich noch viel zu früh, um einschätzen zu können, wie weit dieses Werk beim Women’s Prize kommen wird. Es ist das erste Buch, das ich gelesen habe, noch fehlen mir die Vergleiche.

Ich nehme aber an, dass es zumindest auf der Shortlist landen wird. Es ist hervorragend geschrieben, keine Frage, und Kingsolver ist eine Schriftstellerin, die man nicht schon in der ersten Runde rauswirft.
Aber mich hat „Demon Copperhead“ nicht überzeugt. Es fehlt mir die Brisanz für die Auszeichnung.

Auf zum nächsten Longlistbuch.

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